Auf der Zielgeraden seines Lebens befindlich (und das ist schließlich seit Geburt der Fall), scheint es angebracht zu sein, besagten Endpunkt näher ins Auge zu fassen. Auch schadet es nicht, sich die Frage zu stellen, weshalb man überhaupt unterwegs ist (wohl wissend, dass diese nicht beantwortet werden kann, bevor das eigene Omega überschritten ist).

 

Anmerkungen zu religiösen Denkweisen

Mit Bezug zu "Confessio20 – Notizen zur Glaubenssuche in unserer Zeit"

(von Dietrich Kothe, erschienen 2021 bei Bernardus, Aachen)

Inhalt

Vorbemerkung. 3

Versuch der Einbringung der Glaubensbilder in unsere Zeit. 5

A. Der Beginn des Kosmos nach gegenwärtiger Vorstellung. 5

B. Zur schöpfungsbezogenen Anschauungen der Ursache allen Seins  6

C. Zum Menschsein und der Göttlichkeit. 9

D. Bemerkungen zur Beseeltheit. 9

E. Einlassung zur Verantwortungshaltung. 10

F. Dem christlichen Kerngebet begegnen mit den Erkenntnismöglichkeiten unserer Zeit. 12

F. a) Die Bethandlung als solche und ihre möglichen Positionen   12

F. b) Zur biblischen Aussage bezüglich des Betens. 13

G. Gebetsformel: Deine heilige Hand über alles Sein. 15

H. Vermerke zur Eucharistie aus katholischer Sicht. 16

I. Einlassung zur Entwicklung der Bibelworte. 18

Anhang. 19

 

Vorbemerkung

I.

Die Glaubensfreiheit ist uns (lt. GG 4) zugesichert – wir benötigten nur noch den Glauben, um diese Freiheit genießen zu können. (Nach einem sarkastischen Wort zur Gedankenfreiheit von Karl Kraus.)

Es fällt den im heutigen Wissensstand Aufgewachsenen und nicht bereits in eine Glaubenswelt sozusagen Hineingeborenen allerdings schwer, sich bei ihrer Glaubenssuche an überkommenen biblischen Bilderwelten zu orientieren. Dass sich die Kirchen äußerlich strukturell wandeln müssten, ist zwar eine unumgängliche Notwendigkeit zu ihrer Selbsterhaltung. Das öffnete allerdings nicht schon den Zugang zu ihrer religiösen Glaubenswürdigkeit für die rational geprägte, meist religionsferne Denkweise der Zeitgenossen.

II.

Der kritische Blick auf unsere frühkindlich grundgelegte, umfeldlich beeinträchtigte Prägung ermöglichte es uns, unsere Selbstgewichtung aus unserer "Man"-Haltung* und unserer angepassten Alltäglichkeit zu verorten in einem wirklich selbstbestimmten Dasein. Aber auch diese Zubilligung einer eigenständigen Wesenheit entledigte uns nicht, ist sie glaubenlos, der Hilflosigkeit gegenüber der quasi tragischen Ausweglosigkeit des Daseins. *(M. Heidegger, »Der Begriff der Zeit«, Tübingen 1989, S. 13 ff.)

III.

"Warum ist überhaupt Sein und nicht viel mehr nichts?" (Martin Heidegger, "Einführung in die Metaphysik", Tübingen 1987, S. 1) Diese Frage scheint unsinnig zu sein, da sie nie zu beantworten sein wird. Dagegen hat die Astrophysik Erklärungen für den Beginn und in Verein mit anderen Naturwissenschaften für viele der Gegebenheiten des Universums gefunden.

Dem vor gut einem Viertel Million Jahren aus den Hominiden heraus entwickelten Homo sapiens hat sich im steten Wandel schließlich Bewusstsein in einem über die rein vitalen Bedürfnisse hinausreichendem Maße gebildet. So begab sich das menschliche Wesen wohl, wie künstlerische Hinterlassenschaften etwa an Höhlenwänden bezeugen, in Erkundigungen zu seinem Dasein, jedenfalls in Abbildung desselben. Rein dieszeitlich bezogen, ergaben sich ihm zumeist die entsprechenden Lösungen häufig sogar zwangsläufig. Anders verhielt es sich wie bei uns Heutigen jedoch beim Überzeitlichen, das gelegentlich im Denken sichtbar wird. Das Woher und Wohin der Existenz macht allerdings zumindest zunächst ratlos. Es wird folglich verdrängt oder treibt einen zu Mutmaßungen. Wird nun die alltägliche Begegnung erinnert, dass alles eine Ursache hat, nämlich reale, also in der Wirklichkeit fassbare und ideale, demnach nur vorgestellte Dinge und Vorgänge, so erscheint einem die Einsicht, dass alles Gegebene als Gebilde eines wirkenden Gesamt zu denken sein könnte. Mit diesem als Urgrund allen Seins Erkannten, kann der Schritt in die Glaubenssuche getan werden, bei dem diese Kraft geheiligt als Göttlichkeit erscheint. Wobei es sich lohnen könnte, auch einen Blick auf das mythische Erbe des Christentums zu werfen.

Versuch der Einbringung der Glaubensbilder in unsere Zeit

A. Der Beginn des Kosmos nach gegenwärtiger Vorstellung

Wir gehen heute aus von einer vor gut achtzehn Milliarden Jahren gegebenen Basissingularität (G. Lemaitre). Diese könnte religiös als Schöpfungsvorstellung betrachtet werden und daher die mit frühzeitlichen Erkenntnismöglichkeiten überlieferte Paradiesvorstellung bereichern (in welcher bereits der Fortgang der Entwicklung des Schöpfungsgeschehens mit Ausdrucksmitteln der Genesiszeit abgebildet ist).

In der als unermessliche Energieballung vorgestellten Basis lag demnach alles das Universum Bestimmende als unendlich bildungs- und wandelbarer Grundstoff, versehen mit sozusagen einer Genetik allen Werdens vor. Der Kosmos ist demnach gekennzeichnet durch formende Selbstkraft. Dieses Gestaltungsvermögen der Elemente, das von uns allen in allem zu beobachten ist, ist als Abbild des Göttlichen zu betrachten, nämlich als Gabe und Auftrag des Seins schlechthin. Und in religiöses Denken geleitet, könnten wir hierin das Gestaltende, in steter Zuwendung zu ihrer Schöpfung Getragene der göttlichen Kraft erblicken. Jegliches Seiende war bereits in der unermesslichen Fülle des Schöpfungsaktes grundlegend vorhanden – als Akt der in der Verkündigung zitierten Fülle der göttlichen Liebe. Alles, was ist und noch werden wird, war gegeben und bestimmt zum naturgesetzlich beeinflussten Fortschreiten. Diese Selbstentfaltung konnte seit Beginn des Kosmos zu günstigen oder auch misslichen Gegebenheiten führen und damit selektierend die Entwicklung darstellen.

Was sich daraus mitunter letztlich allerdings als ziellose Geworfenheit allen Seins durch die Schöpfung erscheinen mag, scheint dennoch von einem, allerdings nicht mit Verstandesmitteln, sondern nur glaubend zu ergründenden Geheiß versehen zu sein: nämlich der Entwicklung zur Vollendung hin, die im Geleit der Bewährung im Sein in der Schöpfung einhergeht. Also fordert das selektive Evolutionskonzept der kosmischen Entwicklung religiös zur Annahme einer ethischen Basisströmung der Bewährung im Sein mit dem Ziel der Vollendung heraus.

Da alles Sein, mit Kräften ausgestattet, in seinem Werden und Wandel im Entstehungsakt bereits vorgehalten war, nichtet sich die Vorstellung eines steten Eingreifens des Urgrundes allen Seins, der Göttlichkeit. (Nach K-H. Ohlig, Theologe, „Die Welt ist Gottes Schöpfung“, Mainz 1984, S. 109) So beantwortet sich auch die Frage nach Bestehen der vielen Unbilden, ohne dass sich die Schöpfungskraft lindernd einschaltete. (Die menschliche Fähigkeit aber, sich selbst sogar etwa in autosuggestiver Qualität zu beeinflussen – beispielsweise mittels vertieften Betens – könnte zur Erweckung der Selbstheilungskräfte und Bewältigung des Leids beitragen, zumindest aber als seelischer Kräftigungsakt wirken. So ist eine mitunter als Wun­der bewertete Spontanheilung durchaus auch als Gabe des Urgrundes allen Seins zu betrachten. Sie sollte als eine Schöpfungsgabe einer natürlichen Veranlagung betrachtet werden.)

Die eingangs erwähnte Basissingularität weitete sich aus, was (zunächst abwertend) als Urknall bezeichnet wurde (Forschungen G. Lemaitres und E. P. Hubbles). Alles Elementliche befindet sich, wie erwähnt, in einem immerwährenden Verlauf der Gestaltung. Die Grundelemente Energie, Masse und Bewegung können (nach A. Einsteins E=m∙c2, dass Energie gleich Masse mal potenzierte Bewegung ist) verstanden und in ihrem Verhalten (z. B. mathematisch) umstellend als Wandlungsform begriffen werden.

Ist das unabdingbare Kennzeichen der sich zum Universum weitenden Ausdehnung durch die angesprochene stete Entwicklung all ihrer Elemente gekennzeichnet, so kann nicht Vorgegebenheit (Prädestination) angenommen werden: Den Vorgängen wesentlich ist dargelegte Entfaltung, aus der keine Vorherbestimmung der Gebilde und Begebenheiten als Heilsplan Gottes zu folgern ist. (Fraglich ist das wohl von Augustinus ausgehende, sich bei Luther in der Form des „Gnadenwohls“ findende Heilsvorherbestimmtsein, auch ohne Verdienst. Andererseits widerspräche die möglicherweise daraus zu folgernde Annah­me eines vorherbestimmten Verworfenseins, auch ohne Schuld, dem christlichen Erlösungsgedanken.) Der Schöpferwille, ist zu glauben, scheint also versehen zu sein mit der erwähnten Ga­be des Wandels allen Seins – abhängig vom Grad des Bewusstseins des Homo sapiens, auch von diesem bis zu einem zwar beschränkten Grad gelenkt – und dadurch zur Vollständigkeit (religiös: Vollendung) als schöpferische Absicht führend.

B. Zur schöpfungsbezogenen Anschauungen der Ursache allen Seins

Nichts kann aus einem Nichts entstehen und sein. Das Nichts ist philosophisch ein weites Feld: Es gilt Gläubigen in der jüdisch-christlichen Kosmologie als soz. Herkunftsort der Schöpfung mit der Behauptung, Gott habe die Welt aus dem Nichts geschaffen: "[...] aus dem Nichts erschaffen [...]" (Makkabäer 7,28, Aschaffenburg 1966). Fraglich, ob diese Annahme auch Thomas von Aquin unterstellt werden kann, da bei ihm vor der Schöpfung außer Gott nichts gewesen sei. Denn auch er stand zu der klassischen Formel, dass aus nichts nichts entstehen kann. Wir sehen die Bestätigung dieses Ex nihilo nihil fit auch bei Kant: "Nichts ist ohne bestimmten Grund." (Karl Jaspers, "Die Gründer des Philosophierens", München 1957, S. 186) Im Übrigen finden wir diese Erkenntnis bereits bei Parmenides: "[...] es könne aus Nichtseiendem irgendetwas anderes als eben Nichtseiendes hervorgehen." ("Die Fragmente der Vorsokratiker", Hermann Diels, Berlin, 1922, S. 148 f.) Das kommentiert hingegen Martin Heidegger aus existenzphilosophischer Sicht: "Dass jedoch das Nichts nicht etwas Seiendes ist, schließt keinesfalls aus, dass es auf seine Weise zum Sein gehört." ("Einführung in die Metaphysik", Heidelberg 1987, S. 85)

Ein Nichts (auch wenn es allgemein begrifflich notwendig auf eine fehlende Vorhandenheit weist, und zwar entweder in der Bedeutung des Fehlens von z. B. Eigenschaften oder als völlig fehlendes Sein) nichtet sich im religiös Ursächlichen. Denn alles, was ist, ist aus dem Urgrund allen Seins.

Daraus ist aus dem Blickwinkel christlichen Schöpfungsverständnisses zu schließen: Da nichts aus einem Nichts sein kann, dieses Nichts sich nach philosophischer Vorstellung also nichtet, ist auch ein Vergehen in ein Nichts ausgeschlossen. Denn alles Sein ist christlich schöpfungsgläubig nur als Geschaffenheit aus dem ewigen Urgrund allen Seins, der Göttlichkeit, zu verstehen. (Aus neueren Forschungen aus dem Bio-Physikalischen könne sogar rein naturwissenschaftlich abgeleitet werden, dass die Unsterblichkeit der als Bewusstseinsfaktor begriffenen Seele eine fortdauernde Existenz gegeben sei. Es wird dabei von der Überlegung aus der Quantenmechanik ausgegangen, welche die zeitliche und räumliche Eigenheit der Quanten, ihre Ortsunschärfe, in Betrachtung zieht und von Vervielfältigung und Übertragung ausgeht.)

Alles Sein hat seine Ursache außerhalb seines eigenen Seins. Alles Sein hat demnach ein anderes Sein als Anlass seiner Existenz.

Folglich ist auch der Kosmos aus einem Sein außerhalb von sich entstanden.

An diesem Punkt entsteht die Möglichkeit, hoffend fortzufahren und damit gedanklich in Erwartung zu gelangen (dass alles aus dem Ursprung allen Seins wandelbar, aber als Abbild von diesem nicht endlich ist). Dieser Hoffnung mit vielleicht bereits Überzeugungscharakter kann auch als Begleitgefühl Glauben erwachsen: Das die kosmisch ursprüngliche Singularität verursachende Sein, dabei als Gott­sein begriffen, habe seine Ursache in einer unendlichen Folge der Eigenbegründung. Dem Göttlichen ist demnach die Selbsthervorbringung wesentlich – und zwar entgegen der erwähnten Folgerung der Hervorbringungen des Universums aus jeweils einer Ursache außerhalb vom eigenen Sein. Das Göttliche ist folglich als Urgrund allen Seins zu begreifen. Und zwar in der Weise des den Gegenstandsbereich des in der Erfahrung Gegebenen, des in der diesseitsbezogenen Dingwelt Vorhandenen vorangestellt, nämlich als Schöpfungskraft. Dadurch gelänge auch dem kritischen, rational fundierten Verstand der gedankliche Aufbruch in den Bereich des Übersteigenden, nämlich Jenseitigen, und in Glaubenswelten.

Im Christlichen lastet allerdings bei der Darstellung des Göttlichen auf den Glaubenden die schwer zu erschließende Vorstellung der Dreifaltigkeit. Die drei Personen werden zwar genannt "[...] tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ (Matthäus 28,19, Aschaffenburg 1966) Als Trinität erscheinen sie jedoch an keiner Stelle des Evangeliums. ( K-H. Ohlig, Theologe, "Ein Gott in drei Personen", Homburg 2013, hier Web-Veröffentlichung, S. 125)

Bei der Dreifaltigkeit / Dreieinigkeit ist von der verkünderischen Vorgabe des Jesus von Nazareth auszugehen (der darin allerdings von seiner im Grunde jüdischen Prägung, die eine bestimmende, vermenschlichende Personifizierung entschieden mei­det, erheblich abwich). Aus der Verkündigungssprache geradezu zwingend ist der Zugang zur Bewusstmachung der Göttlichkeit in der Vermenschlichung mit den Begriffen von Vater und Sohn. Die Sohnschaft wird den Evangeliengläubigen verstärkt durch die zweimalige Benennung als "geliebter Sohn" durch die göttliche Stimme, nämlich bei der Taufe im Jordan und anlässlich der Verklärung in Gegenwart von Moses und Elias. Und dies im Übrigen auch durch die wiederholte Eigenbenennung von Jesus, der von seinem Vater spricht. Diese Begrifflichkeit ist im gesamten religiösen Sprachgebrauch tief verankert. Überraschend dann auch wieder das gelegentliche Bemühen um gleichsam Rückvergeistigung aus der Verirdischung des Göttlichen, nämlich dass Gott kein Mann sei, auch wenn wir Ihn Vater nennten. (H. Wohlgschaft, Theologe, Predigttext) Irritierend sind hinwiederum die aus der Vermenschlichung erwachsenden Darstellungsweisen um das "Gezeugtsein" des Sohnes: "[...] gezeugt, nicht geschaffen" [...] "aus dem Vater geboren vor aller Zeit." (Glaubensbekenntnis "Nicäno-Konstantinopolitanum") Das erschließt sich nicht jedem Gläubigen ohne weiteres als geistiger Erhebungs- oder Wandlungsakt – oder gar in der Vorstellung, dass sich die Eingöttlichkeit seinen Geschöpfen als Erlöser in Menschengestalt des Jesus von Nazareth schenkte. Schließlich wird das beim Personifizieren erwachsende Beharren des Alltagschristen übersehen, welches dieses Vermenschlichen beinahe von selbst zur Eigenwilligkeit der (auch göttlichen) Einzelwesen, nämlich der menschlichen Individualisierung führt – und dabei die theologisch postulierte Einwilligkeit der drei göttlichen Person des Eingottglaubens übersieht. Somit entsteht vielleicht an der Eingöttlichkeit, dem Monotheismus, vorbei eine Dreigöttlichkeit, ein Tritheismus, im christlichen Alltagsglauben. (nach K-H. Ohlig, Theologe, a. a. O.) Um dem entgegenzutreten, wäre es angebracht, sich die ein(zig)e Göttlichkeit in ihrem Wesen der Dreifaltigkeit als Eigenschaften seiner Seinsweisen, nämlich als schaffend, begeistend, erlösend zu vergegenwärtigen. Ein annäherndes Wort dazu: Gott zeige Sein Gesicht in Jesus. (H. Friedl, Theologe, Predigttext) Das eingöttliche Beziehungsgeflecht lässt syllogistisch die Folgerung zu: Jesus redet von und zu Gott / Jesus ist Gott / Jesus redet von und zu sich.

Die Göttlichkeit verwirklichte sich erlösend im Menschsein des Jesus von Nazareth. (Das Welt­ganze in seiner Entwicklung betrachtet, ließe diese Überlegung zu: In allen auf ein Jenseits gerichteten Denkmodellen, die sich zu Religionen entwickelten, spielen sich ähnelnde Tatenvergeltungssysteme in Gerichtetheit auf ein Jenseitiges eine bedeutende Rolle. Im Erscheinen der allerschafenden Göttlichkeit in der Menschengestalt des Jesus könnte die Vielfalt der religiös gebildeten Bewusstseine, und zwar Zwiespalt überwindend, in ein einheitliches Erlösendes fließen.)

C. Zum Menschsein und der Göttlichkeit

Betrachtet man beispielsweise die Erzählung des Neuen Testaments vom Versuchtwerden des Gottessohnes (z. B. bei Markus und Lukas), und zwar ohne die dort aufgeführte Teufelsgestalt in Betracht zu nehmen. Er (wahrer Gott und wahrer Mensch) begab sich durch die Annahme des wahren Menschseins auch in die menschliche Versuchung zum Bösen in sich und das stete Ringen um die richtige Entscheidung. Ist es nicht aus der im Evangelium dargestellten Begebenheit ebenso möglich, das Ringen des Menschen Jesus mit seiner mit Ihm vereinigten allmächtigen Göttlichkeit herauszulesen? So ergäbe sich dieses Bild: In den an anderen Stellen des Neuen Testaments aufgeführten Wunder Jesus' begab Er sich in seine schöpferische Göttlichkeit als Mittel des Beweises seiner damit zur Offenbarung erhobenen Botschaft. Hingegen widerstand Er der Versuchung der Gottesstaatlichkeit: "Alle Reiche der Welt / alle Macht und Herrlichkeit". Da hierdurch Sein Schöpfungsgrundsatz aufgehoben gewesen wäre. Denn dieser besteht neben der Entwicklungs- und Entscheidungsfreiheit auch in der Herausforderung des mit weitentwickeltem Bewusstsein begnadeten Menschen zur eingesetzten Be­währungsforderung. Einen in seine Schöpfung direkt eingreifenden und ausgleichend zugetanen göttlichen Weltenherrscher wäre durch sich selber die grundlegende Zielsetzung aus der Hand genommen und in ein dauerhaft paradiesisches Weltengeschehen gesetzt (das solchergestalt im Übrigen auch sinnlos wäre, weil es – wie erwähnt – der offensichtlichen Intention der Schöpfung widerspräche, die in der Bewährung des Seins in seiner Geworfenheit zu erblicken ist).

D. Bemerkungen zur Beseeltheit

Die Ausweitung der Anfangssingularität (des Lemaitre‘schen Uratoms) führte bekanntlich zu Bildung von Elementen mit innerer Ladung, Bewegtheit, Bindungsverhalten usw. Vor etwa fast fünf Milliarden Jahren entstand die Erde, auf der sich die Entwicklung vom Unbelebten auch zum Belebten bewegte, das in einer seiner Ausformungen in Richtung Menschsein fortschritt. Aus der Gruppe der Primaten führte die Wandlung zum Homo erectus mit all seinen Abzweigungen, und es folgte der Homo sapiens. Letzterem erwuchs zunehmend Bewusstsein (allerdings als "Baum der Erkenntnis" biblisch gewissermaßen verteufelt – was vielleicht, mit dem Blick auf die persönliche Entwicklung vom kindlichen Unbefangensein zur erwachsenen kritischen Grundhaltung und damit als Paradiesverlust bildlich ausgemalt betrachtet werden könnte). Der sich entwickelnde Verstand und die darauf aufbauend wertende Vernunft ermöglichte "der Krone der Schöpfung", des Menschen als entscheidungsfähiges Wesen, sich planerisch und vorausschauend einzustellen und vor allem in seiner Eigenschaft der Gruppengebundenheit Verantwortungshaltung zu entfalten und Regeln zu formulieren. Diese Zieleigenschaften der Entfaltung des Homo sapiens sind als die fortschreitende Begabung (die kognitive Ausweitung) und als die in der Schöpfungsgeschichte aufgezeigte Beseelung zu begreifen. Seele ist als geistiger, nämlich göttlicher Kern der körperlich bedingten Seelenhülle, der Psyche, zu erkennen.

So sei am Ende des göttlichen Schöpfungsvorgangs laut Genesis der Mensch geschaffen worden: nach der bildlich dargestellten Formung des Körpers, schließlich die "Behauchung", Begeistung, Beseelung – unter evolutionärer Anschauungen.

Wird dieser Vorgang der Artenentstehung mit heutigen Erkenntnissen betrachtet, bereichert sich das Bild, das ursprünglich mit den Erkenntnismöglichkeiten der Zeit (etwa des siebten vorchristlichen Jahrhunderts) der Niederschriften des Schöpfungsvorgangs entstanden war.

E. Einlassung zur Verantwortungshaltung

Mit Entwicklung des Bewusstseins und seinem Träger dem Ich des Homo sapiens ist dieser in die Lage und Verpflichtung der verantwortlichen Steuerung geraten. Denn er ist zum Interessenausgleich von Mein und Dein befähigt, verfügt über Zielgerichtetheit, Planungs- und Vorstellungsvermögen und hat das Sterblichkeitsbewusstsein, aus dem ihm eine Jenseitsahnung erwächst.

Eine Rolle spielt in seiner Geworfenheit zunächst der Umgang mit den Gefühlslagen, etwa dem Glück, der Lust. Ferner ist ihm die Bildung einer Haltung zu Gütern, Werten und Leistung ein Bedürfnis. Dem kann er (allerdings nur) nach Maßgabe seiner ihm gegebenen Befähigungen gerecht werden. Über die Selbstregulierung hinaus entwickelt sich ihm im Wir-Bewusstsein die Bindung an Richtmaße des Über-sich-Hinausseins. Wobei zu erkennen ist, dass eine Gruppe mit Wir-Bewusstsein nicht nur die Summe ihrer Glieder verkörpert, sondern mit ihrer Formung eigene Merkmale entwickelt. Das führt in ihr mitunter zu Ich-fremdem Verhalten des Einzelnen. Hierin erscheint die Eigenheit des Rollenverhaltens: Die Verfasstheit des Sich-Gebens unterscheidet sich bei jedem entsprechend der jeweiligen Gruppenauftritte und hängt allerdings in Form und Ausmaß vom Selbstbewusstsein des Einzelnen ab.

Allgemein kann gelten: Die geltenden Regeln der Haltung und Entscheidung bilden sich in den Verhaltensmustern einer gesellschaftlichen Ordnung (nach Aristoteles).

So entsteht Verhaltens-Norm durch gesellschaftliche Mehrheiten und wird als statistische Norm sichtbar; gruppenbedingte Leitfäden erscheinen als ideale Norm; letztlich wird in der persönlichen Auswahl daraus die situative Norm (P. R. Hofstätter, Sozialpsychologe, "Psychologie", Frankfurt 1957, S. 219 f.) Bei Letzterer als persönlich gehandhabter, alltäglich moralischer Verhaltensweise wird gewöhnlich unterschieden die Muss-Erwartung (etwas ist nur in bestimmter Weise zu handhaben) von der Kann-Erwartung (etwas kann so oder anders erfolgen) – dazwischen liegt die Soll-Erwartung.

Bei der sich nach Mehrheiten richtenden Norm ist zu unterscheiden die sich in einem über die Zeiten im sog. Kulturkreis entstandene und durch Überlieferung weitergetragene Form (beispielsweise unser bürgerlich aufgeklärtes Verhalten) von den durch gegenwärtige Umstände sich bildenden und verbreitenden Denk- und Verhaltensweisen. Sind Brauch und Sitte verhältnismäßig stabil, ändert sich der zeitgebildete Gesinnungshorizont mit dem Wandel der Gegebenheiten.

Die ideale Norm, dargestellt in Regelwerken wie Gesetzen und Verordnungen, entsteht mittels Abstimmung in als zuständig anerkannten Gruppierungen. Gebote des Religiösen erscheinen als Glauben-gesteuerte Offenbarungen, die als solche ebenfalls von als zuständig geltenden Einrichtungen erklärt werden. Sind Erstere wandelbar in Veränderung von den sie bildenden Mehrheiten, welche die Zuständigkeit besagter Gruppierungen bestimmen, handelt es sich bei religiösen Geboten um weitgehend unveränderliche Muss-Erwartungen. Ihre Beeinflussung geschieht nur im Wege des Wandels ihrer Auslegung.

Bei Betrachtung der situativen Norm ist zunächst festzustellen, dass es sich dabei überwiegend um die Verhaltensregelung im Grunde jedes Einzelnen im Alltag handelt. Stets ist abzuwägen, wie weit man sich nach sich Wandelndem seines gesellschaftlichen Umfeldes oder nach eher stabilen Leitfäden gesetzlicher oder gar gebotlicher Vorgaben richtet.

Bei der Verhaltensregelung des idealen Normbereichs spielt ein in gänzlicher Entsagung mündendes Bestreben bezüglich natürlicher Antriebe eine als zweifelhaft einzuschätzende Rolle. Sie stellt eine Überzeichnung an sich notwendiger Regelungen dar. Ihre Begründung reicht jedoch von Belanglosigkeiten (wie die äußere Erscheinung) über Willensstärkung bis ins religiös Jenseitige (erlangen der Seligkeit). In verschiedenen Religionen steht diesbezüglich die Sexualität im Vordergrund. Im Katholischen gilt als schwere Verfehlung, wenn beim sexuellen Vollzug die Zeugungsabsicht ausgeschlossen ist. Diese überwiegend auf Vermehrung bezogene, zwar sich auf das gottgegebene Naturrecht berufende Idealnorm vernachlässigt jedoch die Erkenntnis der seelisch weiterreichenden Bedeutungen der Sexualität weitgehend.

So kann allein der ausgewogene, verantwortliche Umgang mit den natürlichen Antrieben, den Grundbedürfnissen, nämlich vom Bewegungs-, über den Nahrungs- bis hin zum Geschlechtsdrang und schließlich den dem Selbsterhaltungsdrang entspringenden Bedürfnissen nach Anerkennung und Geltung als seelisch und körperlich angemessen gelten. Dabei ist allerdings die grundsätzlich gegebene Freiheit der Entscheidung nicht als uneingeschränkt verfügbares Gut zu betrachten.

F. Dem christlichen Kerngebet begegnen mit den Erkenntnismöglichkeiten unserer Zeit

Wie erwähnt, zählt zu den menschlichen Fähigkeiten, sich selbst sogar etwa in autosuggestiver Qualität zu beeinflussen – beispielsweise mittels vertieften Betens. Diese könnten zur Erweckung der Selbstheilungskräfte und Bewältigung des Leids beitragen, zumindest jedoch als seelischer Kräftigungsakt wirken. So ist eine mitunter als Wun­der bewertete Spontanheilung durchaus auch als Gottesgabe zu betrachten. Sie sollte als eine Schöpfungsgabe einer natürlichen Veranlagung angesehen werden.

F. a) Die Bethandlung als solche und ihre möglichen Positionen

Sie kann Bedeutung-erforschend also interpretierend gedacht werden: Dabei ist das Gebet als ein im Maße der Konzentration auf gänzliche Bewusstheit psychisch aufbauender, stärkender Akt zu betrachten. Es gilt in diesem, die Bedeutung der Formeln zu erfassen, zu vertiefen und gegebenenfalls in ihrer Auslegung zu weiten. Dazu nachfolgend das Beispiel zum Vaterunser.

Zum anderen kann die Gebetsübung als reiner Wortvollzug vollzogen werden. Diese Übung erfolgt unter Abschaltung (aller) Denkfunktionen und einem quasi Hineinfallenlassen in den rein verbalen Vollzug der Gebetformeln, beispielsweise im Rosenkranzgebet. Die damit sich einstellende regulierende, reduzierende Körperlichkeit (des Herzschlags etwa) ist Erfahrungstatsache und wissenschaftlich belegt (Padua 2010).

In der Glaubenspraxis kommt bei den meisten Betern eine Mischform beider Möglichkeiten zur Anwendung, und zwar gepaart mit Abschweifungen aller Art.

Formell ist im Allgemeinen von Bedeutung der rituell gefasste und strukturierte Vorgang des Betens als Alltagsgläubigkeit in gemeinschaftlicher Identifikation mit sich gleichschaltend Handelnden.

Grundsätzlich jedoch ist Beten als eine Aufbruchhandlung zur Erreichung und Erlangung des schöpferisch gegebenen Potenzials zu begreifen. Beten ist als Aktivierung der dem Menschen in der Evolution zugewachsenen Bewusstseins-Fähigkeiten zu erfassen und anzuerkennen, und zwar bis hin zu Funktionen der Heilung und halluzinativer Einstellung – im Ausnahmefall auch außergewöhnliche Zustände erzeugend, nahe dem parapsychologischen Ereignisbereich.

F. b) Zur biblischen Aussage bezüglich des Betens

Jesus habe seinen Jüngern den Auftrag erteilt, das von Ihm vorgestellte, sozusagen Kern-Gebet zu sprechen. Jesus hat jedoch seine Lehre weder selber niedergeschrieben noch die Weisung erteilt, sie in Buchstaben zu fassen und auf diese Weise festzuschreiben. Es ist daraus zu folgern, dass es unbedingte Glaubensübung ist, sich um die Bedeutung des überlieferten Gesagten zu bemühen. Denn die Sprache unterliegt seit je einem Wandel und ist immer auch Erzeugnis aus dem Zeitgeist – und Übersetzungen sind immer auch kreative Handlungen. So fallen (fest-)geschriebene Worte allmählich aus der Zeit. Fügt man dem an, dass die Niederschrift der Überlieferung der Jesusworte bekanntlich etwa ein Menschenleben nach dessen Hinscheiden vom Aramäischen über das Griechische ins Lateinische und schließlich in die Landessprachen erfolgte, so ist von erheblichem Sprachwandel auszugehen, der die Inhalte zumindest zum Teil in fernes Licht rückte.

Vater unser, Urgrund allen Seins.

Wir beten Dich an durch Jesus Christus im Heiligen Geiste.

Geheiligt ist Dein Sein.

Dein Reich werde in uns.

Dein Wille geschehe an uns.

Unser tägliches Brot gib Seele, Geist und Leib.

Vergib uns unsere Fehler.

Verleihe uns die Kraft, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind.

Führe uns aus der Versuchung.

Und löse uns aus unseren Befangenheiten, die Ursache unserer Fehler sind.

(Auch: Erleichtere uns von uns für den weiten Weg zu Dir.)

Begründung zu dieser Auslegung des Vaterunsers:

-        Die Bezeichnung mit der irdisch geprägten, geschlechtsgebundenen Benennung 'Vater' dient als Darstellung der Nähe und Verbundenheit der Allursächlichkeit der Göttlichkeit – kann jedoch logisch ergänzt werden.

Die Anbetung 'durch' (mit Hilfe / als Vermittler) Jesus Christus 'im' (in seinem) Heiligen Geiste ist der Versuch, die unfassbare Trinität zu benennen, die 'wir' anbeten. Der Name ist (vollendet, nicht erst in Zukunft 'wird') geheiligt.

-        "Dein Reich komme, Dein Wille geschehe" wird: Dein Reich werde in uns, Dein Wille geschehe an uns. Die im währenden (da stets im Gange befindlichen) Schöpfungsakt gegebene Entstehung des Gottesreiches in uns bewirken – sich erbeten. Ist sie nicht in uns begründet, kann sie auch nicht in die Welt gelangen – die göttliche Willensverwirklichung an uns vollzogen sehen, macht sie auch umfeldlich wirksam, den Gedanken ans Gottesreich in uns vollendend. Bei diesen beiden Versen des Gebets kann davon ausgegangen werden, dass sich uns in der willentlich schaffenden und gestaltenden Urkraft allen Seins, der als Göttlichkeit erscheinenden Gestaltlichkeit, Selbstsein darstellt. Dieses Grundsein allen Seins legt in sein schaffendes Begehren, das in der Anfangssingularität gegeben war und weiter ist, sei­ne Wesenheit, zu der alle Entwicklung zu führen begabt ist – und sich im Vers: Dein Reich werde usw. sprachlich wiederfindet. Es stößt also Entwicklung in diese Richtung an (die durch ein verstärktes Sich-nach-innen-Kehren zu steigern ist).

           Das Gebet als das Bemühen betrachten, aus der unendlichen Fülle der schöpferischen  

           Gaben, den erforderlichen Abruf zu tätigen, um sie zur Wirkung zu führen. Und

           da­mit den Wirkbereich des Schöpfers auf Seine Gegebenheiten des Einflusses auf das   

           Sein zu tätigen: Das stellte das Bitten um Gotteshilfe dar. Und zwar im bemühenden

           Gestalten, an der veranlagten Fülle des Ursprungs allen Seinkönnens teilzuhaben,

           sozusagen in Selbstgestaltung – oder einfach im Abruf dessen. In dieser

           Eigengestaltung könnte die Einsicht liegen, eine Art der schöpferischen

           Ebenbildlichkeit gespendet bekommen zu haben. Es kann unterstellt werden, dass eine

           solche Haltung sta­bilisierende, stärkende seelische Nebenwirkungen zeitigt.

           

-        Du vergibst uns, so wie wir ...

            Die Bitte um Vergebung ist begleitet von einer zweiten Bitte, nämlich der um die  

            Gnade, die Kraft, all denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Denn in

            der Regel sind wir, meist emotional gebunden, viel zu schwach zum Verzeihen.

-        Die Bitte darum, nicht in Versuchung zu fallen oder zu geraten – oder auch aus der Versuchung herausgeführt zu werden. Die Darstellung: "Führe uns nicht in Versuchung" ist nach heutigem Sprachverständnis eher abwegig. Sie lässt Gott als Versucher erscheinen. Das ist durch den Sprachwandel begründet, denn in alter Zeit stand "Versuchung" für Prüfung. Statthaft wäre auch: "Führe uns in der Versuchung", besser "aus ihr heraus".

-        (Sondern) erlöse uns aus unseren Befangenheiten, die Ursache unserer Fehler sind (die Bezeichnung 'Sünden' scheint vielen Zeitgenossen ein abgenutzter, eher überstrapazierter Begriff zu sein). Ein diesem und jenem Verfallen-zu-Sein hindert uns an wirklicher Umkehr.

-        Schließlich die Versicherung an die Göttlichkeit als die Energie des Ursprungs allen Seins zu glauben (die archaische, aus dynastischer Zeit stammende Formel von Macht, Kraft und Herrlichkeit sollte als überholt gelten).

G. Gebetsformel: Deine heilige Hand über alles Sein

Da alles aus dem unendlichen Urgrund allen Seins, der Göttlichkeit, hervorgegangen ist, kann es ebenfalls als unendlich begriffen werden. Denn es ist davon auszugehen, dass alles bestehende und sich im Wandel noch bildende / verändernde Sein – wie bereits erwähnt – in der Anfangssingularität in unendlicher Vielfalt der Möglichkeiten vorgehalten ist. Ferner erscheint es als sicher, dass sich daraus der Schöpfungsvorgang Kosmos-lang in seiner ihm verliehenen Regelungskraft, beispielsweise der Naturgesetze, fortentwickelt zu in ihrer Beständigkeit unterschiedlichen Formen.

Das Beten kann verstanden werden als eine Abrufhandlung aus dem möglichen Vorrat – was beispielsweise durch Tätigkeiten der gesteigerten Gerichtetheit, wie Meditation, sogar zu steigern ist. So gesehen und schließlich gehandhabt, wirkt die Bethandlung als Beteiligung zumindest im Kleinen, Persönlichen, aber immerhin am Wandlungsgeschehen der Schöpfung.

Aus all dem Erörterten ist es angesagt, die als Segenshand des Urgrundes allen Seins, der Göttlichkeit, betrachtete über alles aus dem Schöpfungsgeschehen Hervorgegangene in die schlichte Gebetsformel einfließen zu lassen: "Deine heilige Hand über alles Sein". Und dieses Erbeten gerade aus der Ahnung heraus, dass alles Geschaffene zu seinem Ursprung zurückkehren werde. Womit die Verbundenheit über alles Versagen hinweg, mit dem menschlichen Begriff Liebe bezeichnet, der Göttlichkeit mit Ihrer Hervorbringung nur irdisch verstandlich umrissen sein kann (was allerdings gegen die Annahme ewiger Verdammnis spräche). Das in der Begrifflichkeit Gläubiger seit je und in allen Glaubensgebilden gegebene Bedürfnis, das Jenseits zu gliedern muss damit allerdings nicht als angezweifelt gelten. Der menschliche Verstand in seiner vergleichenden und gegenüberstellenden Denkweise scheint Himmel und Hölle als Bestandteil von Glauben zu benötigen.

H. Vermerke zur Eucharistie aus katholischer Sicht

"Das ist mein Leib" – die Worte als "wahrer Gott und wahrer Mensch" beziehen sich auf Seine leibliche Existenz als Element Seiner Irdischheit, in der Er sich laut Schrift und Glaubenssatz dargebracht hatte. Aus dieser begab Er sich durch die Vollendung der Erlösungstat heraus in seine Allwesenheit des Göttlichen. Er lässt die Wirkung Seiner Erdenexistenz, besagter Erlösungstat, all Seinen an Ihn Glaubenden angedeihen. Er hat mit der Wirkung der zitierten Wandlungsworte die Überwindung der Spaltung von realem und idealem Sein zur Bildung des mythischen (sozusagen) realidealen Glaubens im Bewusstsein geschaffen.

Wer sich als Alltagschrist jedoch nicht zu starkem mythischen im Grunde Fühldenken bewegen kann, dem wird kaum rational nachvollziehbar sein, dass Er durch die Transsubstantiation, also als in deren substantieller Wandlung, in Brot und Wein als gegenwärtig zu betrachten sei. Denn die äußere Gestalt der Gaben – philosophisch nach Aristoteles: ihre Akzidenz – verbleiben in ihrer Beständigkeit und erscheinen weiter als Brot und Wein. (Der Lehrmeinung der Transsubstanz und der ständigen Gegenwart von Christus nach der Wandlung folgen auch die orthodoxe und die altkatholischen Theologien.) Möglicherweise um den Glaubenden die Last des Zweifels, der immer wieder wegen der rational unlösbaren Problematik auftaucht, zu nehmen, ist es den Katholiken zu glauben geboten, und zwar mittels Dogmas seit Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts des Tridentinischen Konzils. (Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg 2010)

Auch "praktizierende" Katholiken werden zudem von einer Reihe von Bedenken bedrängt:

Denn gerade jene, die von der unermesslichen Erhabenheit eines Schöpfers überzeugt sind, werden sich fragen, ob es nicht zumindest grenzwertig lästerlich, also beinahe blasphemisch ist, von einer beständigen realen Gottesanwesenheit, im "gewandelten" Brot und Wein auszugehen? Sehen sie beispielsweise die Verwahrung des geglaubt Göttlichen in einem Tabernakel.

Hinzu kommt im Katholischen, dass vielen das ganze Prozedere in Folge der Weihe von (nur) Männern zur geradezu göttlichen Befähigung der Schöpferkraft angeeignet zu bekommen im eucharistischen Wandlungsprozess bedenklich erscheint. Diese Verleihung gipfelt immerhin darin, irdischen Gaben von Brot und Wein als Essenz eine göttliche Wesenheit als Substanzveränderung angedeihen lassen zu können. Und dies allein wegen des sozusagen eigenkräftigen Rituals des "ex opere operato", "aufgrund der vollzogenen sakramentalen Handlung". (Katechismus der Katholischen Kirche, München 2005) Etwas vollzogenes Sakramentales, heißt es zudem, wirke unabhängig von der Einstellung dessen, der es als Geweihter "in persona Christi" handelt. Dies erfolgt ferner frei von seiner sittlichen Qualifikation, also auch im Zustand der schwersten persönlicher Belastung durch Verfehlungen.

Im Lutherischen wird nicht von einer Wandlung der Gaben ausgegangen, sondern von Seiner mystischen Realpräsenz etwa bei den Gaben oder deren Umfassung. Dies ist dem Glauben anvertraut und nicht dogmatisiert. Es heißt hier, dass beim Abendmahl Brot und Wein natürlicherweise als ebendiese anwesend sind, während Christi Leib und Blut auf übernatürliche, himmlische Weise, aber nicht das Wesen der Gaben verändernd gegenwärtig sind. Es könnte von Kon- statt Transsubstantiation gesprochen werden – auch wenn dies lutherisch theologisch nicht ganz korrekt ist.

In anderen reformatorischen christlichen Religionen führte das aufklärerische Ringen um die Abendmahlthematik ebenfalls zu abweichenden Überzeugungen:

Huldrych Zwingli betrachtet das Abendmahl als symbolischen Vollzug. Es gehe um die Vergegenwärtigung im gläubigen Gedenken der Passion Christi. (Walther Köhler: Zwingli und Luther, Leipzig 1953; Martin Werner: Der protestantische Weg des Glaubens, Bern 1962, S. 482 ff.) Johannes Calvin schwankt zwischen Luthers und Zwinglis Auffassung (Realpräsenz und Symbolismus) bei der Bewertung des Abendmahls und kommt schließlich dazu: Das Abendmahl sei eine wirkliche Gabe Gottes, nicht nur die Erinnerung daran. Der Heilige Geist bewirke, dass Jesus Christus in Brot und Wein als Person gegenwärtig sei.

Eine bleibende Gegenwart Jesus' in den Gaben nach dem Abendmahl / der Kommunion lehren die Reformreligionen, entgegen orthodoxer, katholischer und altkatholischer Theologien nicht.

Über allem Ringen um eine graduell gewisse Glaubenshaltung könnte stehen: Sicher ist lediglich Seine Existenz im Bewusstsein der Glaubenden als geistige Kommuni(kati)on bei jedem Gedanken an Ihn.

I. Einlassung zur Entwicklung der Bibelworte

Die Texte des Neuen Testaments sind fast ein Menschenleben nach dem Verklingen ihres Urhebers, nämlich aus der bereits gebildeten Überlieferung, der Erinnerung Seiner Gefolgschaft und die Formung der Übertragung in andere Sprachen entstanden (ab der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts aus dem Aramäischen, auch Hebräischen und vor allem in Griechisch gefasst – der damaligen Gelehrten-Weltsprache des Mittelmeerraumes – und zwar von Matthäus, einem Jünger; Markus, einem Begleiter von Petrus; Lukas, einem Begleiter von Paulus; Johannes, einem Jünger). Es gilt zu vergegenwärtigen, dass Erinnerung und Übersetzung immer auch von Interpretation geleitet ist. ("Wörter des Originals haben in Übersetzungen oft unzulängliche Entsprechungen." Alfred Läpple, Theologe, "Die Schriftrollen von Qumran", Augsburg 1997, S. 61). Die eigentliche Aufgabe bei der Befassung mit den Texten besteht demnach darin, die Bedeutung zu suchen, um den Sinn der textgetragenen Gedanken zu ergründen. Es ist ein herausforderndes Ansinnen, sich beim Befassen mit den zum Wort Gottes erhobenen Darstellungen vom bloßen Buchstabenkonsum zu lösen. Denn das Wort Gottes lässt sich schließlich nur zum Behelf in menschliche Sprache fassen, sollte ehrfurchtsvoll erkannt werden.

Grundsätzlich wäre dazu auch förderlich, das Aussagevolumen vom altertümlichen Ausdrucksklang zu befreien. Die Bedeutung der Textaussage wäre sprachlich über die Jetztbegrifflichkeit ins Verständnis unserer Zeit zu übertragen, in deren Gebrauch sie gebracht werden müsste (was der Urheber, also Er, eben auch mit den Mitteln, nämlich Beispielen Seiner Zeit handhabte).

Das umrahmende Zeremoniell der Gottesdienstpraxis betreffend gilt Ähnliches. Es sollte jedoch nicht in "ritualistisches Entertainment"* gebracht werden und sich ihre Vollzieher nicht als "Eventpfaffen"* verstehen. (*Th. Kaufmann, FAZ 03.11.2022)

Anhang

Ähnlichkeiten in der Antike mit der Jesus-Darstellung und seiner mythischen Abkunft

Die Vermenschengestaltlichung (Anthropomorphisierung) ist seit je in allen jenseitsgläubigen Glaubenswelten gegeben gewesen, nämlich die Zumessung von menschlicher Gestalt der mythischen Figuren und darüber hinaus die Irdischheit überschießende Handlungsfähigkeit nebst Überwindungskraft des Diesseitigen, der Geworfenheit.

In der Mythologie von jenseitigen Gestalten bei den Griechen und Römern, ebenso den Ägyptern gab es immer schon Verflechtungen über Grenzen der jeweiligen scheinbar einmaligen und daher festgefügten Anschauungen hinweg, sozusagen "kulturüberschreitende sinnstiftende Erzählungen". Eine andere Perspektive tut sich dabei auf, wenn von im Menschen angelegten Grundbedürfnissen ausgegangen wird, aus denen heraus die sich ähnelnden Konstrukte bilden. Es kann u. U. sogar von Gefügen eines Kollektivbewusstseins gesprochen werden. Bei ihrer Aktivierung handelte es sich wohl um Übernahmen aus dem Bedürfnis heraus, an Bestehendes und vorwiegend urzeitlich Überliefertes anzuknüpfen und es als schöpfungsgegeben auszuweisen. (Außerdem könnte als Motiv der Übernahme dieser in äußerster Vielfältigkeit erscheinenden mythischen Erzählungen und Auslegungen eine ordnende, dankbar angenommene Befreiung als förderlich für das missionierende Anliegen des christlich konzentrierten Glaubensgutes erblickt werden.) Dadurch erleichterten diese im Grunde Nebeneffekte die Übermittlung des Kerns der geistigen Gehalte. Diese Verbildlichungen wurden somit allerdings zu religiösem Inventar, zumal damit allgemein menschliche Erwartungen, etwa vom Daseinsheil abgedeckt werden konnten. Im Grunde könnten diese Gemenge aus irdischem Dasein und Übernatürlichkeit der im Bewusstsein erzeugten Figuren aber in der mutmaßlich fortgeschrittenen Denkfähigkeit unserer Zeit heraus zur Abstraktion anregen und somit Eingang zur Vertiefung der religiösen Inhalte in geistige Qualitäten dienen. Also von der fabulösen Irdischheit zur logischen Geistigkeit sollte sich die Glaubensrichtung bewegen.

Beispiele aus vorchristlichen Glaubensüberlieferungen, gemessen an der gottmenschlichen Gestalt des Jesus von Nazareth:

- Osiris ist gestorben und sei wieder auferstanden. Und zwar lt. Legende von seinem Bruder Seth ermordet und zerstückelt – von Isis, der Schwester und Gattin, wieder erweckt. (Jan Assmann: Tod und Jenseits im alten Ägypten, München 2003) Osiris galt als Richter der Toten. Wie Jesus diese Rolle innehat, denn er werde "[...] die Lebenden und die Toten richten [...]". (Timotheusbrief 4,1-2)

- Asklepios, römisch Äskulap: Er habe heilende Kräfte und könne Tote auferwecken. "Allerdings fürchtete Zeus– nach Hades' Klage – ob des Erfolges von Asklepios' Heilkünsten, dass kein Mensch mehr sterben würde. Er schleuderte daraufhin einen tödlichen Blitz auf Asklepios.  (Klaus Meister: Die griechische Geschichtsschreibung, Stuttgart u. a. 1990, Diodor 4,71)

- Herakles: Ein Sohn von Zeus (HomerIlias 19,96–99), der nach seinem Tod zum Olymp aufgestiegen sei.

- Romulus und Remus seien göttlicher Abkunft und aus einer mütterlichen Jungfrau hervorgegangen. (Mars vergewaltigte die Vestalin Rhea Silvia, und sie empfing von ihm die Zwillinge Romulus und Remus. Adolf Schirmer u. a., Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Leipzig 1897) Allerdings seien sie von einer Wölfin gesäugt und später in einer Hirtenfamilie aufgezogen worden.  

- Zur Gottes-Zeugung in Verbindung mit der Jungfräulichkeit: In Ägypten verhieß Gott Amun-Re der jungfräulichen Königsgattin den Thronerben, wohnte ihr als Pharao bei. Er erkannte ihn im Himmel als seinen Sohn an. (Emma Brunner-TrautDie Alten Ägypter. Verborgenes Leben unter Pharaonen, Stuttgart 1987

- In Persien galt der endzeitliche Saoschyant als von Zarathustras Samen gezeugt, den eine badende Jungfrau aus dem Wasser empfangen habe. (Mary Boyce, Handbuch der Orientalistik, Leiden 1975)

- Nach Plutarch nahm Alexanders Mutter Olympia für sich in Anspruch, von Achilleus, einem Sohn des Zeus, abzustammen. Gemäß einer von ihr benutzten Darstellung stamme Alexander aus einem traumhaften Beiwohnen von Zeus mit ihr ab. 

Eine der biologischen Wirklichkeit entgegenstehende "immerwährende Jungfräulichkeit" ist in der katholischen und orthodoxen Kirche Glaubensgrundsatz. Während andere Glaubensberichte von Jungfrauenempfängnis, nicht aber von Jungfrauengeburt sprechen.